Wortlaut der Hamburger Erklärung auf dem Mediendialog – Und meine $0.02


In den letzten Wochen hatte ich an verschiedenen Stellen Gerüchte über eine “Hamburger Erklärung” gehört, die sich für eine Änderung des Urheberrechtes zugunsten der Verlage einsetzen  und die insbesondere die von ASV wesentlich getriebene Kampagne für ein Leistungsschutzrecht für Verlage vorantreiben soll. Diese erklärung sollte im Rahmen des Internationalen Mediendialoges, der gestern stattfand, erfolgen.

Bem.: Also ähnlich wie der unsägliche Heidelberger Appell. Wer sich dafür interessiert, warum ich unsäglich im Zusammenhang mit dem Heidelberger Appell verwende, der lese bitte die entsprechenden Posts von Matthias Spielkamp auf immateriblog. Mich stört insbesondere die Vermengung  von Google Book Search und Open Access, zwei Dingen die aber überhaupt nichts miteinander zu tun haben.

Daher war ich gespannt ob  diese Erklärung tatsächlich veröffentlich werden würde. Via Twitter konnte ich erfahren dass die Erklärung von den Hamburger Großverlagen abgegeben wurde und von der dpa unterstützt wird. (Disclosure: Ich arbeite für eine dpa Tochter)- darüberhinaus gabe es noch eine Reihe weiterer Erklärungen

Über die Tweets mit Hashtags #imd09 und ein Paar Meldungen, die schon gestern lesen konnte, wusste ich, dass

  • in der Keynote von Herrn Döpfner die Worte “Hehlerware im Internet” fielen,
  • in der Erklärung  (mal wieder) vom Internet als rechtsfreien Raum die Rede ist, und
  • in der Rede von  Wasserzeichen als Allheilmittel gesprochen wurde.

Soviel hatte ich gestern  mitbekommen. Da ich aber gestern und heute auf einer anderen Veranstaltung war, komme ich erst jetzt dazu mich darüber intensiver zu informieren.

Unglücklicher-, aber nicht überraschenderweise konnte ich weder den Wortlaut der Rede von Herr Döpfner  noch ein Video des Vortrages im Internet zu finden. Bei einer Veranstaltung, die dem Medium Internet gerecht werden will darf dass nicht passieren.

Aber auch der Worlaut der Erklärung ist nicht einfach so zu finden. Weder auf der Seite des Mediendialoges noch auf den Presse-Webseiten der Verlage ist sie zu finden. Wäre auch zu viel verlangt. Da ist sogar der Heidelberger Appell noch besser, den kann man wenigstens leicht finden.

Zum Glück haben  die Welt und die FAZ die Erklärung im Rahmen ihrer Berichterstattung veröffentlicht, eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jeden der versteht wie das Medium Internet funktioniert.  Daher auch nochmal  hier.

Die Hamburger Erklärung im Wortlaut

Das Internet ist für den Journalismus eine große Chance. Aber nur, wenn die wirtschaftliche Basis auch in den digitalen Vertriebskanälen gesichert bleibt. Das ist derzeit nicht der Fall.

Zahlreiche Anbieter verwenden die Arbeit von Autoren, Verlagen und Sendern, ohne dafür zu bezahlen. Das bedroht auf die Dauer die Erstellung von Qualitäts-Inhalten und von unabhängigem Journalismus.

Wir treten deswegen entschieden dafür ein, den Schutz geistigen Eigentums im Internet weiter zu verbessern.

Freier Zugang zu Webseiten bedeutet nicht zwingend kostenlosen Zugang. Wir widersprechen all jenen, die behaupten, dass Informationsfreiheit erst hergestellt sei, wenn alles kostenlos zu haben ist. Der freie Zugang zu unseren Angeboten soll erhalten bleiben, zum Verschenken unseres Eigentums ohne vorherige Zustimmung möchten wir jedoch nicht gezwungen werden.

Wir begrüßen deshalb die wachsende Entschlossenheit von Bundesregierung, Landesregierungen und den im Bundestag vertretenen Parteien, die Rechte von Urhebern und Werkmittlern weiter an die Bedingungen des Internets anzupassen.

Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. Gesetzgeber und Regierung auf nationaler wie internationaler Ebene sollten die geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser schützen. Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.

Am Ende muss auch im World Wide Web gelten: Keine Demokratie gedeiht ohne unabhängigen Journalismus. Kein Wissen entsteht ohne faire Beteiligung an seinem wirtschaftlichen Ertrag.

Hamburg, 8. Juni 2009

Axel Springer AG

Bauer Media Group

Ganske Verlagsgruppen GmbH

Gruner + Jahr AG & Co KG

Spiegel Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co KG

Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG

Neben der Erklärung der Verlage gab es wohl auch noch Erklärungen des Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA, der Allianz Deutscher Filmproduzenten (Film/TV) und des Bundesverband Musikindustrie. Natürlich fordern alle eine Erweiterung der Urheber und sonstiger Rechte. Und Ole von Beust hat erklärt, dass den Worten nun Taten folgen sollen. (Horizont.Net).

Vielleicht sollte man Herr von Beust mal die wissenschaftlichen Untersuchungen von Rufus Pollock zu der volkswirtschaftlich optimalen Länge des Copyrights näher bringen (und vielleicht zur Sicherheit noch erklären was ein Konfidenzintervall ist) (Blog, Wissenschaftliches Papier (PDF) ):

FOREVER MINUS A DAY? CALCULATING OPTIMAL COPYRIGHT
TERM
RUFUS POLLOCK
UNIVERSITY OF CAMBRIDGE
JANUARY 5, 2009
Abstract. The optimal term of copyright has been a matter for extensive debate over
the last decade. Based on a novel approach we derive an explicit formula which charac-
terises the optimal term as a function of a few key and, most importantly, empirically-
estimable parameters. Using existing data on recordings and books we obtain a point
estimate of around 15 years for optimal copyright term with a 99% confidence interval
extending up to 38 years. This is substantially shorter than any current copyright term
and implies that existing terms are too long.

Update: Ich habe erst jetzt (via Telepolis) erfahren, dass auch der Dietmar Harhoff, Professor am Institut für Innovationsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, und Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation, die die Bundesregierung in forschungspolitischen Fragen berät, basierend auf den Forschungsergebnissen von Pollock  aus ökonomischen Gründen eine Verkürzung des Urheberrechts vorschlägt. Und zwar je nach Produkt zwischen fünf und dreißig Jahren statt wie die EU-Kommission es möchte, eine Verlängerung auf 70 Jahre.

Meine $0.02

Der Text der Erklärung kann mir leider nur ein unverständliches Kopfschütteln entlocken. Kurz ein paar Anmerkungen zu den einzelnen Erklärungsbestandteilen:

Das Internet ist für den Journalismus eine große Chance.

Na wenigstens das ist unstrittig

Aber nur, wenn die wirtschaftliche Basis auch in den digitalen Vertriebskanälen gesichert bleibt. Das ist derzeit nicht der Fall.

Das gilt vielleicht momentan für die meisten klassischen Verlage, allerdings wird die Argumentation für Herr Döpfner schwieriger wenn er gleichzeitg verkündet, dass ASV 17% des Konzernumsatzes über digitale Vertriebswege erwirtschaftet. Auch gibt es durchaus schon Beispiele dafür dass man mit Journalismus Online Geld verdienen kann. Und es gibt jede Menge Journalismus im Netz für den die wirtschaftliche Basis sekundär ist und für den andere Motivationen und Incentives wichtiger sind.

Zahlreiche Anbieter verwenden die Arbeit von Autoren, Verlagen und Sendern, ohne dafür zu bezahlen. Das bedroht auf die Dauer die Erstellung von Qualitäts-Inhalten und von unabhängigem Journalismus.

In zahlreichen Szenarien ist diese Verwendung gesetzlich zulässig (Zitatrecht etc.) Und um es hier direkt anzusprechen: Die Praxis von Google News ist, was die Texte angeht durch das “Paperboy”-Urteil des Bundesgerichthofes quasi höchstrichterlich abgesegnet. Deutschland ist also im Vergleich zur USA, in der die “Fair-Use-Doctrine” noch nie vor Gericht war, der “Safe-Haven”.

In den Fällen in denen es gesetzlich nicht zulässig ist, gibt es Methoden und Verfahren wie dann vorzugehen ist. Diese können und sollen von den Erstellern von Qualitäts-Inhalten und unabhängigem Journalismus eingesetzt werden nicht nur von Marion’s Kochbuch etc.

Wir treten deswegen entschieden dafür ein, den Schutz geistigen Eigentums im Internet weiter zu verbessern.

Es gibt also einen Schutz geistigen Eigentums im Internet, sonst könnte er nicht weiter verbessert werden.. Wir merken uns das mal für gleich.

Freier Zugang zu Webseiten bedeutet nicht zwingend kostenlosen Zugang. Wir widersprechen all jenen, die behaupten, dass Informationsfreiheit erst hergestellt sei, wenn alles kostenlos zu haben ist. Der freie Zugang zu unseren Angeboten soll erhalten bleiben, zum Verschenken unseres Eigentums ohne vorherige Zustimmung möchten wir jedoch nicht gezwungen werden.

Habe ich was verpasst? Gibt es eine breite gesellschaftliche oder politische Bewegung die fordert das alle Inhalte kostenlos zu haben sein sollen? Oder wurden die Inhalte von den Verlagen auf freiwilliger Basis kostenlos ins Netz gestellt. Oder wird hier ein irreales Bedrohungsszenario konstruiert um die Argumentation zu stützen?

Wir begrüßen deshalb die wachsende Entschlossenheit von Bundesregierung, Landesregierungen und den im Bundestag vertretenen Parteien, die Rechte von Urhebern und Werkmittlern weiter an die Bedingungen des Internets anzupassen.

Aha. Hier haben wie es also,  das Leistungsschutzrecht in Form der Werkmittler.

Wobei ich immer noch nicht verstanden habe wie ein Recht das im wesentlichen die Auswahl / Zusammenstellung von Werken anderer, den Urhebern schützt auf ein Medium dessen wesentliche Leistung es unter anderem ist, die Einzelteile zugänglich zu machen, d.h. den Inhaltezugang auf Artikelebene zu ermöglichen anzuwenden ist.

Die Entschlossenheit der Exekutive wird diesbezüglich tätig zu werden wird entweder auf Basis intensiver Lobbyarbeit erreicht worden sein oder, mindestens genau so wahrscheinlich, proaktiv postuliert.

Die Forderungen lesen sich doch eher so, dass die Bedingungen des Internets ignoriert /angepasst werden sollen,

Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. Gesetzgeber und Regierung auf nationaler wie internationaler Ebene sollten die geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser schützen. Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.

Vor zwei Absätzen wurde richtigerweise festgestellt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Zwei Sätze später wird dies noch einmal mit der Feststellung, dass die ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums verboten bleiben muss bestätigt. Also was soll das ganze Gerede vom Internet als rechtsfreien Raum. Ich kann es nicht mehr hören.

Am Ende muss auch im World Wide Web gelten: Keine Demokratie gedeiht ohne unabhängigen Journalismus.

Bei diesem Satz steigt mein Parser aus. Bedroht jetzt das Web den unabhängigen Journalismus oder gar die Demokratie. Welcher Teil des HTTP-Protokolls ist dafür verantwortlich? Gilt ein Satz nicht mehr nur weil im World Wide Web gesagt wird? ???

Kein Wissen entsteht ohne faire Beteiligung an seinem wirtschaftlichen Ertrag.

Das ist nun wirklich der krönende Abschluss. Auf einmal wird aus Inhalten Wissen, das hört sich einfach besser an.

Ich würde mal behaupten: Die meisten (Wissens-)Inhalte, entstehen ohne “faire” Beteiligung der Ersteller  an seinem wirtschaftlichen Erfolg. Zumindest “fair” in dem von den Verlagen gebrauchten Sinne, denn man muss davon ausgehen, dass mit “fair” auf jeden Fall “signifikant” gemeint ist. Aber anscheinend ist man zu verschämt  dieses Wort (oder ein stärkeres) zu gebrauchen.

Das liegt zumeist daran dass die Ersteller von (Wissens-)inhalten andere primäre Ziele als rein wirtschaftliche verfolgen resp. durch diese getrieben sind.

Bem.: Ich habe in einem frühreren Leben mal im Bereich KI und WIssensrepräsentation wissenschaftlich gearbeitet und darüber promoviert. Aus dieser Sicht heraus würde ich dann doch darauf bestehen, das  das Wissen durch das Lesen der Artikel bzw. der Inhalte beim Leser entsteht.

Nehmen wir aber mal an, es ist die Entstehung von Inhalten, resp.  die Repräsentation von Wissen in diesen Inhalten gemeint.

Ich habe jetzt keine Lust in der Historie zu kramen, aber mir fallen im Umfeld  des WWW   sofort einige Beispiele ein, in denen (Wissens-)inhalte entstanden sind, ohne dass die Ersteller

  • Wikipedia und wenn man den Begriff Wissen ernst nimmt, dbpedia und die ganzen Wissensbasen der Linked Data Initiative entstanden ohne dass die überwältigende Mehrheit der Schöpfer dieses Wissens an dem wirtschaftlichen Erfolg  beteiligt sind. Noch schlimmer sie haben damit überhaupt keine Probleme.
  • Gleiches gilt für Openstreetmap,
  • Oder für alle CC-BY, CC-BY-SA und Public Domain Inhalte

Zuguterletzt gilt es auch für alle Open Source Projekte.

Vielleicht sollte die Inhalteindustrie sich mal genau ansehen:

  • wie es die IT-Industrie geschafft hat, dass sie einen grossen Teil ihrer wertvollsten Inhalte erstellt ohne dass es eine faire Beteiligung an dem wirtschaftlichen Erfolg für einen Grossteil der Beteiligten gibt.
  • Wie es sie geschafft hat, wie “Amateurentwickler” und “Qualitätsentwickler” konstruktive zusammenarbeiten bei der Erstellung dieser kostenlosen Inhalte.
  • Und wie sie es geschafft hat auf Basis dieser kostenlosen Inhalte erfolgreiche Geschäftsmodelle zu etablieren.

Zusammenfassung

Anscheinend ist den Verlagen die Hamburger Erklärung wichtig. Daher ist es für mich grob fahrlässig wenn sie in Ihrer Argumentation so lausig ist. Wenn sie keine bessere Argumentation liefern können, dann werden sie nicht auf meine Unterstützung rechnen können.

P.S.: Andere Meinungen zur Hamburger Erklärung

Nachdem ich jetzt auch dazu gemommen bin auch andere Meinungen zur Hamburger Erklärung zu lesen, hier ein zwei Pointer:

P.P.S.: Watermarking

Im Text selbst steht nichts von Watermarking als Lösungsansatz. Daher kurz:

  • Ich kenne keine Verfahren die ein Watermarking von Texten sinnvoll leisten können, dazu steckt in einem Text einfach zu wenig Information (in einem informationstheoreischen Sinne)
  • Auch steganographisch lässt sich daher nix machen.
  • Daher wird bei der Inhalteverfolgung von Texten zumeist ein Fingerprinting-Verfahren auf Basis von Hashfunktionen und sich überlappenden Wort-n-grammen, sogenannten “Shingle’s”  benutzt.
  • Wen es interessiert, der kann sich mal den folgenden Artikel von Google (sic) durchlesen: “Detecting the Origin of Text Segments Efficiently“. Aus der Zusammenfassung: “The strong performance and moderate space requirements of our best algorithm suggest that real-time origin detection on web-scale is possible.”

Update: Musste im hinteren Teil nochmal redigieren, war heute nacht einfach zu spät. Habe dann auch die kurze Watermarking Sektion ergänzt.

Update 2 : Habe es dabei geschafft mir das Layout komplett zu zerschiessen. Ist hoffentlich wieder repariert.

Update 3: Noch zwei Pointer zu anderen Blogeinträgen dazu gepackt

Update 4: Links zu Dietmar Harhoff dazu gepackt.